In „Spurensuche – Familiengeschichten aus der Höchster Altstadt“ geht es der Frankfurter Stadtteil-Historikerin und Vorstandsmitglied Sheina Di Gennaro-Bretzler um Menschen, die mit ihren Familien, ihren Schicksalen, ihren Hoffnungen in Höchst lebten – im Zeitraum von 1600 bis etwa 1900. Diese Menschen gestalteten die Geschicke und den Alltag in Höchst. Nach und nach stellen wir diese Persönlichkeiten hier vor. Den Anfang macht die Familie Ettinghausen …
Familie Ettinghausen – Wohltäter und Mäzene von Höchst
Auszug aus dem 2020 veröffentlichten Werk „Spurensuche – Familiengeschichten aus der Höchster Altstadt“ von Sheina di Gennaro-Bretzler.

Der um 1835 erbaute Wohnsitz der Ettinghausens: die noble Villa aus dem Spätklassizismus in der Emmerich-Josef-Straße 39. Foto: © Sheina di Gennaro-Bretzler
Seit 2008 erinnert die Benennung eines kleinen Platzes zwischen Marktplatz, Schleifergasse und Kronengasse an Familie Ettinghausen, eine der ältesten jüdischen Familien in Höchst.
Über mehrere Generationen waren ihre Familienmitglieder im Getreide- und Mehlhandel tätig und bauten ihr Familienunternehmen zu einem florierenden Mehlgroßhandel aus. Darüber hinaus nahmen sie eine zentrale Rolle in der jüdischen Gemeinde Höchst ein und engagierten sich politisch. Ihre Großzügigkeit und Wohltätigkeit machte sie zu beliebten und geschätzten Bürgern der damaligen Stadt Höchst.
Familie Ettinghausen stammte ursprünglich aus Heddernheim und zog zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Höchst. Das erste, hier sicher nachweisbare Familienmitglied der Ettinghausens war der Handelsmann und Getreidehändler Süßkind Herz Ettinghausen, der bis zur Abänderung des Namens im Jahr 1822 noch Süßkind Herz Mentle (auch Mendel / Mendle) hieß.
Neben dem Auftauchen des Namens im Hessischen Städtebuch 1803 und dem Nachweis, dass die Familie 1804 Grundstücks- und Hausbesitzer im

Der Ettinghausen-Platz. Erst vor wenigen Jahren benannt nach der Familie Ettinghausen. Foto: © Sheina di Gennaro-Bretzler
Burggraben wurden, finden sich in den archivierten Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden der Stadt Höchst zahlreiche Nachweise für die Familie Ettinghausen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Zwischen 1800 und 1810 wurden in Höchst mindestens vier Kinder geboren, deren Vater den Namen Mendle Herz Ettinghausen, Handelsmann, trug, Mutter der Kinder war Vogel, geb. Löb. Ein sicherer Nachweis, dass es sich hierbei um Kinder des Süßkind Herz Ettinghausen aus Heddernheim handelte, gelingt durch die fehlende Heiratsurkunde des Elternpaares nicht. Nachweisbar hingegen sind vier ehelich geborene Kinder des Handelsmanns Süßkind Herz Ettinghausen

Sterbeurkunde von Löb Ettinghausen, geb. 23. Mai 1800 in Höchst. (Bestand 903, Signatur 10251, Sterberegister 1857).
mit Bessel, geb. Moses aus Kronberg, die alle zwischen 1819 und 1826 in Höchst zur Welt kamen.
1830 wurde Süßkind Herz Ettinghausen zum Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Höchst ernannt. Sein im März 1819 geborener Sohn Bär Süßkind Ettinghausen führte den Getreidehandel des Vaters weiter und gründete 1845 einen Betrieb für Mehlgroßhandel mit einer betriebseigenen
Dampf-Walzmühle in Kriftel in der Hintergasse 113, der 1866 als Heereslieferant der 8. Preußischen Main-Armee Erwähnung findet. Zwischen 1855 und 1878 bekleidete Bär Süßkind Ettinghausen gemeinsam mit Joseph Wolff und Salomon Hahn (ua.) das Amt des 2. Vorstehers in der israelitischen Kultusgemeinde Höchst.
Die Ettinghausens verstanden sich als Familienbetrieb. Bär Süßkind Ettinghausens Söhne und Schwiegersöhne führten gemeinsam das Geschäft weiter und bauten es aus; schon bald zählten die Familienmitglieder zu den wohlhabenden Bürgern in der Stadt. Besondere Erwähnung sollen hier seine 1846 und 1853 in Höchst geborenen Söhne Sigmund und Max Ettinghausen finden.

Anzeige „Dampfwalzmühle Kriftel“, nach 1877 aus der Privatsammlung Jürgen Rothländer
Der 1846 geborene Mehlgroßhändler Sigmund Ettinghausen wurde 1892 bei den Stadtratswahlen in Höchst in die Stadtverordnetenversammlung gewählt und behielt dieses Amt bis zu seinem Tod im Jahre 1907. Ebenso war Sigmund Ettinghausen ab 1896/7 gewählter 1. Vorsteher der damaligen israelitischen Kultusgemeinde, bis er im September 1902 sein Amt niederlegte, da ihm wegen seiner vielen Ehrenämter, unter anderem als Mitglied des Stadtrats, des Vorschussvereins und anderer städtischer Kommissionen die Belastung zu groß wurde.
Auch der 1853 geborene Kaufmann und Mehlhändler Max Ettinghausen betätigte sich politisch und wurde im November 1909 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Nachdem seinem Bruder Sigmund die Belastung der vielen Ämter zu groß wurde, übernahm Max Ettinghausen im September 1902 per Wahl das Amt des 1. Vorstehers und wurde 1927 gebührlich von der jüdischen Gemeinde für sein 25jähriges Jubiläum gefeiert
Gemeinsam führten die Brüder Max und Sigmund Ettinghausen den Familienbetrieb – mittlerweile “Müllerei, Frucht- und Mehlhandel Ettinghausen” – in das 50jährige Firmenjubiläum.
In der Höchster Bevölkerung war die Familie hoch angesehen. Die Ettinghausens galten als anständige und ehrliche Geschäftsleute, wohltätige Menschen, Unterstützer der Vereine und engagierten sich uneigennützig für ärmere Mitbürger. Ihre Großzügigkeit und enge Verbundenheit gegenüber den Höchster Bürgern zeigte sich auch zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als die Mehlpreise rasant anstiegen.

Anzeige B. S. Ettinghausen. Erstes Adreß-Buch Höchst a.M. 1894
Max öffnete sein gesamtes Mehllager, das zu diesem Zeitpunkt 20.000 Pfund Weizenmehl umfasste, und verkaufte das dringend benötigte Mehl zu einem niedrigen Preis, um Wucherpreise zu verhindern und die Höchster Bevölkerung zu versorgen.
Da die israelitische Gemeinde stark angewachsen war, im Jahr 1900 betrug die Anzahl der Mitglieder 148, forderten und förderten die Brüder Ettinghausen mit viel uneigennützigem Engagement den Neubau der Höchster Synagoge am Höchster Marktplatz. Im Mai 1905 wurde durch Max Ettinghausen und Kantor Levy der Grundstein gelegt, im Dezember des gleichen Jahres fand die Einweihung der neuen Synagoge statt.
Das Schicksal der Familie Max Ettinghausen

Geselligkeitsverein „Stübchengesellschaft“ 1931.
Als Vierter von rechts in der hinteren Reihe: Max Ettinghausen, Mehlgroßhändler und Vorsteher der jüdischen Kultusgemeinde. © Verein für Geschichte und Altertumskunde Frankfurt a.M.-Höchst e.V.
Max Ettinghausen kam am 15.08.1853 als Sohn des Handelsmanns Bär Süßkind Ettinghausen und dessen Ehefrau Charlotte, geb. Kahn, in Höchst zur Welt und heiratete im Februar 1881 in Darmstadt die damals 19jährigen Berta Feitler aus Seeheim. Zwischen 1883 und 1892 kamen drei Töchter, Sophie, Henriette und Rosa Ettinghausen und der Sohn Heinrich zur Welt. Die Familie lebte in der um 1875 errichteten Villa in der Emmerich-Josef-Straße 39 in unmittelbarer Nähe zu Synagoge.
In seiner Funktion als Vorsteher der jüdischen Gemeinde, erfolgreicher Besitzer einer Mehlgroßhandlung und Wohltäter der Stadt, genoss Max Ettinghausen hohes Ansehen in Höchst. Max Ettinghausen starb am 22. April 1933, kurz vor Vollendung des 81. Lebensjahrs, in seinem Haus in der Emmerich-Josef-Straße 39.
In dessen Nachruf rühmte die Gemeinde die unschätzbaren Verdienste für die jüdischen Mitbürger, seine achtundzwanzigjährige Tätigkeit als Kultusvorsteher, seine zehnjährige Tätigkeit als Stadtverordneter sowie seine lebendigen Beziehungen zu allen nichtjüdischen Kreisen, trotz aller beruflichen Anforderungen.
Max Ettinghausen musste noch die „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 und der „Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte“ am 1. April 1933 durch die Nationalsozialisten ertragen; zunehmende Entrechtung und Repressalien gegen jüdische Mitbürger und die Sorge um seine Gemeindemitglieder überschatteten seine letzten Lebensjahre.
Nach dem Tod ihres Mannes Max verkaufte Berta Ettinghausen die Villa in der Emmerich-Josef-Straße, in der sie seit 1881 gelebt hatte, noch zu einem regulären Preis und zog nach Frankfurt in die Guiolettstraße. Von dort flüchtete sie vor den Nationalsozialisten in die Niederlande.
Zuvor war Bertha Ettinghausen zu einer Abgabe in Höhe von 29350, 57 Reichsmark gezwungen, die sich aus der „Judenvermögensabgabe“, „Reichsfluchtsteuer“ und „ersatzlosen Abgaben“ zusammensetzte. Bertha Ettinghausen blieben von ihrem Vermögen nur 10 Reichsmark.
Bertha Ettinghausen wurde 1942 in Amsterdam verhaftet, in das „Durchgangslager Westerbork“, Provinz Drenthe, gebracht und am 18. Mai 1943 in das Vernichtungslager Sobibor in Polen deportiert. Ihr Todesdatum ist der 21. Mai 1943.
Auszug aus dem Stammbaum Max Ettinghausen
Generation 1
Süßkind Herz Ettinghausen (bis 1822 Mentle), *(Heddernheim), +(Höchst)
Handelsmann, Mehl- und Getreidehändler, Vorsteher der jüdischen Gemeinde
verheiratet mit
Bessel Moses * (Kronberg), + (Höchst)
Generation 2
- Bär Süßkind Ettinghausen, *21.03.1819 (Höchst), +19.01.1882 (Höchst)
Handelsmann, Mehlgroßhändler, Vorsteher der Kultusgemeinde Höchst
verheiratet mit
Charlotte Kahn (Cahn), *10.01.1819 (Kastel)
- Seligmann Ettinghausen, *19.02.1822 (Höchst), +18.04.1847 (Frankfurt)
- Judith Ettinghausen, *13.12.1823 (Höchst)
- Sara Helene (Lenchen) Ettinghausen, *13.05.1826 (Höchst), +28.06.1895 (Höchst)
Generation 3
- Siegmund Ettinghausen, *13.09.1846 (Höchst), +09.03.1907 (Höchst)
Mehlgroßhändler, Vorsteher der Kultusgemeinde Höchst, Stadtverordneter
- Bertha Ettinghausen, +17.06.1848 (Höchst), +07.04.1924 (Heppenheim)
- Johanna Ettinghausen, *04.05.1849 (Höchst)
- Clara Ettinghausen, *15.07.1850 (Höchst)
- Henriette Ettinghausen, *19.01.1852 (Höchst), +02.01.1882 (Frankfurt)
- Max Ettinghausen, *15.08.1853 (Höchst), +22.04.1933 (Höchst)
Mehlgroßhändler, Vorsteher der Kultusgemeinde Höchst, Stadtverordneter
verheiratet am 10.02.1881 (Darmstadt) mit
Berta (Bertha) Feitler, *11.07.1861 (Seeheim), +21.05.1943 (Sobibor, Polen)
- Pauline Ettinghausen, *07.01.1860 (Höchst), +15.01.1879 (Höchst)
- Helene Ettinghausen, *07.01.1860 (Höchst), +24.12.1927 (Höchst)
Generation 4
1.6.1. Sophie Selma Ettinghausen, *08.05.1883 (Höchst)
1.6.2. Louise Ettinghausen, *30.08.1884 (Höchst)
1.6.3. Rosa Auguste Ettinghausen, *18.06.1887 (Höchst)
1.6.4. Bernhard Friedrich Kurt Ettinghausen, *07.12.1892 (Höchst)
Nähere Auskünfte zu Personenstandsdaten der Nachkommen von Max und Berta Ettinghausen sind auf Anfrage erhältlich.
Quellen
Gedenkbuch für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg (1907-1942)
Landesgeschichtliches Informationszentrum Hessen, Jüdische Grabstätten
Leben in Frankfurt, Stadtteil Höchst, Stolpersteine in Höchst (Initiative Stolpersteine in Frankfurt a.M.)
Zeitschrift „Der Israelit“, Nekrolog Bär Süßkind Ettinghausen vom 01.02.1882
Zeitschrift „Der Israelit“, Artikel vom 20.06.1892 (Stadtratswahlen Siegmund Ettinghausen)
Zeitschrift „Der Israelit“, Artikel vom 27.10.1902 (Neuwahl des Kultusvorstehers Max Ettinghausen)
Mitteilung im „Frankfurter Israelitischen Familienblatt“ vom 26.11.1909 (Wahl des Max Ettinghausen zum Stadtverordneten)
Zeitschrift „Der Israelit“, Nekrolog Max Ettinghausen vom 04.04.1933Zeitschrift „Der Israelit“, Nekrolog
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Sterberegister und Namensverzeichnisse 1851-1958
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Geburtenregister und Namensverzeichnisse 1851-1901
Evangelische Kirche Soden, Kreis Höchst, Sammlung ausgewählter Kirchenbücher 1500-1971
Evangelisches Kirchenbuchamt Hannover, Lutherische Kirchenbücher, 1533-1950
„Find A Grave“-Index Datenbank 1600-heute
Reihe Archivbilder Frankfurt-Höchst, Markus Grossbach, Sutton Verlag, 2001
Chronik von Höchst, Dr. R. Schäfer, Verlag Waldemar Kramer / Frankfurt a. M. 1986
Verein für Geschichte und Altertumskunde Frankfurt a.M. Höchst e.V., Bildarchiv
Erstes Adreß-Buch von Höchst a.M. 1894, J. Schwerzel, Eigenverlag
Adressbuch für den Kreis Höchst a.M. 1902
Juden in Höchst, Die vergessenen Nachbarn, W. Beck, J. Fenzl und H. Krohn / Jüdisches Museum, Stadt Frankfurt a.M., 1990
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